Psychotherapie Darmstadt | Mirco Gröger
Mirco Gröger
M. Sc. Psychologe

28.02.2023 | Mirco Gröger

Resilienzforschung im Fokus: Wie liebevolle Beziehungen und Sinnhaftigkeit das Wohlbefinden stärken

  • Die Resilienzforschung hat eine lange Tradition.
  • Durch liebevolle Bezugspersonen und emotionale Bindungen können schwierige Verhältnisse in der Kindheit überwunden werden.
  • Viktor Frankl, der seine eigene Resilienz im Konzentrationslager untersuchte, gilt als Pionier der Resilienzforschung.
  • Resilienz hat nicht nur etwas mit angeborenen Eigenschaften zu tun, sie kann auch beeinflusst und gestärkt werden.
  • Positive soziale Beziehungen und ein stabiles soziales Netzwerk gehören zu den stärksten Resilienzfaktoren.
  • Sich realistische Ziele setzen und seinem Leben einen Sinn geben, sind hilfreiche Maßnahmen auf dem Weg zu mehr Resilienz.

Resilienz (von lateinisch resilire: zurückspringen, abprallen, nicht anhaften) beschreibt die Widerstandskraft gegen Stress. Und seit einiger Zeit wird der Begriff so häufig verwendet, dass man ihn fast schon als Modewort bezeichnet könnte. Dabei hat Resilienz in der psychologischen Forschung schon seit langer Zeit Relevanz und wurde bereits in den 1950er Jahren wissenschaftlich untersucht.

Im Zentrum der Resilienzforschung stehen die Fragen: Wie kommt es, dass manche Menschen trotz widriger Umstände ein erfolgreiches und glückliches Leben führen? Und wie gelingt es, dass resiliente Menschen stark aus Krisen hervorgehen und nicht an ihnen zerbrechen?

Kinder aus schwierigen Verhältnissen

Eine der prominentesten Studien zum Thema Resilienz ist die sogenannte Kauai Studie. Die entwicklungspsychologische Langzeitstudie (1955 – 1999) von Emmy Werner von der University of California untersuchte die Auswirkungen psychosozialer Risikofaktoren auf die Entwicklung von 698 Kindern, die auf der hawaiianischen Insel Kauai lebten.

Ein Drittel der Kinder wuchs unter äußerst schwierigen Verhältnissen auf: Armut, psychisch erkrankte Eltern, Alkoholismus, Vernachlässigung, sexuelle und körperliche Gewalt. Zwei Drittel dieser Risikogruppe zeigten bereits im Alter von zehn Jahren schwere Verhaltens- und Lernstörungen, kamen vor dem 18. Lebensjahr in Konflikt mit dem Gesetz, wurden vor dem 18. Lebensjahr schwanger oder erlitten psychische Erkrankungen. Ein Drittel dieser Risikogruppe wuchs jedoch zu selbstbewussten, fürsorglichen und leistungsfähigen Erwachsenen heran, zeigte keine Verhaltensauffälligkeiten, waren gut in der Schule und in das soziale Leben ihrer Gemeinschaft integriert. Im Alter von 40 Jahren hatte dieses resiliente Drittel, die niedrigste Rate an Todesfällen, chronischen Gesundheitsproblemen und Scheid ungen. Keiner hatte Konflikte mit dem Gesetz, alle hatten Arbeit, die Ehen waren stabil, sie hatten viel Mitgefühl für ihre Mitmenschen und schauten positiv in die Zukunft.

Soziales Netzwerk stärkt die Resilienz

Worin unterschieden sich die Kinder, die sich positiv entwickelten von denen, die einen weitaus negativeren Lebensweg einschlugen? Der bedeutendste Unterschied war, dass diese resilienten Kinder mindestens eine liebevolle Bezugsperson hatten, die sich um sie kümmerte und zu der sie eine stabile emotionale Bindung hatten. Hierbei war es nicht entscheidend, ob diese Bezugsperson ein Elternteil war. Wichtig war, dass die Kinder zumindest eine Person hatten, der sie sich anvertrauen konnten, bei der sie sich geborgen fühlten und die sie als zuverlässig erlebten. Die Erfahrung sich auf andere verlassen zu können, erhöht die Wahrscheinlichkeit in Krisenzeiten auf Menschen zuzugehen und aktiv Unterstützung zu suchen. Dies wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Probleme aktiv gelöst statt verdrängt werden. Durch weitere neuere Forschungen wissen wir heute, dass positive soziale Beziehungen und soziale Unterstützung zu den stärksten Resilienzfaktoren gehören.

Wer nach Möglichkeiten sucht seine persönliche Resilienz zu stärken kann hier ansetzen und in die Pflege seines persönlichen sozialen Netzwerks investieren. Möglichkeiten dies zu tun, sind Interesse am Leben anderer zu zeigen – und sich dabei nicht nur für die Ereignisse im Leben anderer zu interessieren, sondern auch dafür, wie es ihnen mit diesen Ereignissen geht. Hilfreich kann hierbei auch sein, sich selbst zu offenbaren und nicht nur über persönliche Erfolge und Stärken zu sprechen, sondern auch seine verwundbare Seite zu zeigen.

Viktor Frankl, Wien, 1965 (Foto: Prof. Dr. Franz Vesely)

Viktor Frankl untersuchte eigene Resilienz

Ein weiterer Pionier der Resilienzforschung ist Viktor Frankl. Der jüdisch-österreichische Neurologe und Psychiater, wurde 1942 gemeinsam mit seinen Eltern und seiner Frau von den Nationalsozialisten festgenommen und in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Sein Vater starb dort 1943, seine Mutter wurde in den Gaskammern von Ausschwitz ermordet und seine Frau starb im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Viktor Frankl überlebte drei Konzentrationslager und wurde 1945 von der US-Armee befreit.

Kurze Zeit nach seiner Befreiung verarbeitete er seine Erfahrungen in dem Buch: „.. trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager.“ Das Buch wurde zum Weltbestseller und in 26 Sprachen übersetzt. Es verkaufte sich alleine in den USA über neun Millionen mal. 1955 erhielt Viktor Frankl den Professorentitel für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien und hatte mehrere Gastprofessuren, u.a. an der Harvard University in den USA. Er verfasste insgesamt 32 Bücher, die in 49 Sprachen übersetzt wurden, und wurde mit 29 Ehrendoktortiteln für seine akademische Leistung geehrt. Trotz all dem Leid, das Viktor Frankl widerfahren ist, zeigte er nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager in beeindruckender Weise, wozu ein Mensch fähig ist.

Realistische Ziele und Sinnhaftigkeit sind hilfreich

Wie konnte Viktor Frankl diese schrecklichen Erlebnisse meistern? Er betonte immer wieder, wie wichtig es ist, ein langfristiges und realistisches Ziel zu haben und mit einer optimistischen Grundhaltung darauf hinzuarbeiten. Während seiner Gefangenschaft waren das oft kleine Dinge. Etwa eine Kartoffel in der wässrigen Suppe zu finden. Menschen mit einer pessimistischen Einstellung hätten nur geringe Überlebenschancen in den KZs gehabt. Andererseits betont er, wie gefährlich unrealistische Erwartungen und Ziele sein können. Als Beispiel nennt er das Massensterben, das 1944 in den Lagern stattgefunden hat: Viele Gefangene hätten die Hoffnung gehabt, an Weihnachten wieder bei ihrer Familie zu sein. Erst habe diese Hoffnung Kraft gespendet, doch dann habe die Enttäuschung, an Weihnachten doch noch im KZ zu sein, die letzte Kraft gekostet. 

Das Ziel, das sich Viktor Frankl setzte war, zu studieren, wie es Menschen schaffen können, unter solchen extremen Bedingungen zu überleben, um später davon berichten zu können. Das gab ihm einen Grund zum Weiterleben. Aus psychologischer Sicht ist das ein genialer Ansatz. Damit hatte er einen Weg gefunden, seinem Leben und all dem Leid einen Sinn zu geben. Was ihm auch Schreckliches widerfuhr, er konnte sich sagen: Ich werde das überstehen, um später davon berichten zu können, wie sich so eine Situation bewältigen lässt.

Resilienz lässt sich beeinflussen

Während die Kauai Studie zeigt, wie wichtig ein soziales Netzwerk und stabile persönliche Beziehungen sind, macht das Beispiel von Viktor Frankl deutlich, dass eine optimistische Grundhaltung und das Erleben von Sinnhaftigkeit zwei weitere wichtige Faktoren sind, die erheblichen Einfluss auf unsere persönliche Resilienz haben. Resilienz hat also nicht nur etwas mit angeborenen Eigenschaften zu tun, sie kann durchaus auch beeinflusst werden. So zeigen die meisten neuen Forschungsergebnisse, dass resiliente Menschen gelernt haben, über ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Sie vertrauen nicht auf Glück oder Zufall, sondern nehmen die Dinge selbst in die Hand.